Rund 400 v. Chr. stellten sich griechische Naturphilosophen wie Demokrit vor, die Welt bestünde aus unteilbaren kleinsten Bausteinen. Átomos, das „Unzerschneidbare“, nannten sie diese, woraus sich der Begriff Atome entwickelte. Dass Atome nicht die kleinsten Teilchen sind, wissen wir mittlerweile schon sehr lange. Auch konnte die Forschung noch sehr viel weiter und tiefer in die Geheimnisse der Materie eindringen. Doch am Ende der Suche, woraus die Welt aufgebaut ist, sind wir noch keineswegs angekommen. Daher stellt sich weiterhin die Frage, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, wie Johann Wolfgang von Goethe seinen Wissenschaftler Faust im gleichnamigen Werk grübeln lässt. Antworten suchen etwa riesige Experimente und Forschungseinrichtungen wie das DESY (Deutsches Elektronen-Synchrotron), das Standorte in Hamburg und nahe Berlin unterhält.
An diesem bekam ich nach einer Bewerbung im Juni im Zuge des MINT-EC-Camps Teilchen- und Astroteilchenphysik, durch die Mitgliedschaft des Jakob-Fugger-Gymnasiums am nationalen Excellence-Schulnetzwerk MINT-EC ermöglicht, in Zeuthen, südöstlich von Berlin gelegen, von Montag, den 23. Oktober 2017, bis Freitag, 27. Oktober 2017, zusammen mit zwölf weiteren Neunt- bis Zwölftklässlern aus ganz Deutschland und sogar deutschen Schulen im Ausland Einblicke in den Gegenstand aktueller Forschung und die Möglichkeit, mich intensiv mit dem spannenden Feld der Elementarteilchenphysik auseinanderzusetzen.
Nach einer siebenstündigen Zugfahrt von Augsburg nach Berlin begann der erste Tag gleich turbulent: Zuerst stand eine Begrüßungsrunde und der Bezug der Gästezimmer an. Gleich darauf folgte schon das erste Highlight, nämlich die Besichtigung des sogenannten Photoinjektor-Teststands PITZ, einem Linearbeschleuniger für Elektronen (Bestandteil der Atomhülle), der genutzt wird, um die richtigen und effektiven Einstellungen, Parameter und Modifikationen des Beschleunigers zu testen, der dann anhand der Untersuchungen in größeren Forschungsinstituten eingesetzt wird. Am Nachmittag folgte dann ein interaktiver Vortrag zur Teilchenphysik und dem Standardmodell der Teilchenphysik. Uns wurden alle bekannten Elementarteilchen (drei Gruppen: Quarks, Leptonen, Bosonen) und unter anderem ihre Eigenschaften und Wirkung vorgestellt und erklärt.
Der Dienstag stand ganz unter dem Zeichen des CERN in Genf. Diese äußerst berühmte Einrichtung dürfte den meisten Leuten geläufig sein. Wir erfuhren, was an dessen größten Ringbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider (Large Hadron Collider; Hadronen sind Teilchen, die aus Quarks aufgebaut sind) mit 27 km Umfang und den ganzen Vorbeschleunigern passiert: Vornehmlich werden Pakete von Protonen (Bestandteil der Atomkerne und Hadronen) mit annähernd Lichtgeschwindigkeit gegeneinander geschossen, die durch die Kollision entstehenden Teilchen registriert und deren Attribute wie Masse bzw. Energie gemessen. Diese Messungen können nur mit besonderen Detektoren erfolgen. Deshalb wurde uns der größte Detektor des LHC vorgestellt: ATLAS. Im Folgenden wurde von uns erarbeitet, wie dieser aufgebaut sein muss, um Elementarteilchen nachzuweisen. Zuletzt durften wir anhand von Original-Daten des ATLAS-Experiments auswerten, welche Elementarteilchen alles bei einer Kollision entstehen können und bekamen auch zu sehen, wie der Nachweis des so bekannten Higgs-Bosons erfolgte, das 2012, nachdem es 50 Jahre zuvor theoretisch vorhergesagt wurde, endlich entdeckt wurde. Anhand dieser Übung wurde uns noch einmal bewusst, dass zur modernen Physik extrem viel Datenanalyse gehört. Nach dem Mittagessen nahm uns dann noch ein Teilchenphysiker des Instituts mit auf eine Führung. Die folgende Fragestunde war dann der Schlusspunkt für den zweiten Tag, denn den Rest des Tages verbrachten wir in der Bundeshauptstadt.
Am Mittwoch war Bauen angesagt. Anhand des am vorherigen Tag erarbeiteten Wissens hatten wir die Aufgabe, mit der Hilfe zweier Physik-Studenten der Humboldt-Universität zu Berlin ein LEGO-Modell des ATLAS-Detektors im Maßstab 1:50 zu bauen (Original-Größe: fünfstöckiges Hochhaus). Nach einem langen Tag, der bis ca. 21 Uhr dauerte, war das 10.000. und letzte LEGO-Teilchen an Ort und Stelle. So konnten sowohl der Aufbau des Detektors als auch die Charakteristika der zu registrierenden Elementarteilchen besser nachvollzogen werden.
Neben dem CERN sind Physiker des DESY auch am IceCube-Experiment am Südpol beteiligt. Mit diesem riesigen Teleskop im Eis (Volumen: ein Kubikkilometer) werden kosmische Neutrinos nachgewiesen, die, weil sie durch alles hindurch schwirren, auf ihrem weiten Weg aus den Tiefen des Alls nicht abgelenkt werden. Diese Elementarteilchen sind nun deshalb interessant, weil es unter ihnen viele aus extraterrestrischen Quellen zu uns schaffen, zum Teil aus Milliarden von Lichtjahren entfernten Galaxien.
Am Donnerstag erzählten uns also sechs Doktoranden aus aller Welt auf Englisch oder Deutsch, was es genau mit den mystischen Neutrinos, die im Standardmodell der Teilchenphysik zu den Leptonen gehören, auf sich hat. Selbst als es um die Theorie ging, bekamen wir lediglich Denkanstöße und durften selbst Daten auswerten und spielerisch feststellen, welche verschiedenen Detektoren für welche Teilchen aus bestimmten Quellen geeignet sind. Unterbrochen wurde der Tag nur von einer Führung durch die Werkstätten des DESY, in denen uns von zwei Postdocs ihre neueste Forschung für IceCube gezeigt wurde. Es wurden beispielsweise die Fertigung neuer Nachweisgeräte, von denen 5.000 im Eis verbaut sind, erklärt. Im Verlauf lernten wir auch einige witzige Fakten: Pro Sekunde fliegen zum Beispiel 10.000 Neutrinos durch unsere Hand, wobei in 25 Tagen nur ein einziges absorbiert wird. Das ist somit ein leicht nachzuvollziehender Grund, warum ein solch gigantisch großer Detektor für die Registrierung von Neutrinos benötigt wird.
Irgendwann brach auch der letzte Tag an. Wie immer begann das Programm um neun Uhr morgens, diesmal mit dem Aufbau einer Nebelkammer, einem einfachen Nachweisexperiment für ionisierende Strahlung (z.B. von radioaktiven Stoffen), also Elementarteilchen, die anderen Atomen oder Molekülen Elektronen aus der Hülle schlagen können und somit positiv geladen zurücklassen (Fachbegriff: Ionisation). Unter Einsatz von mit Alkohol getränktem Filz und Trockeneis bekamen wir unter der Aufsicht von Physikern die passenden Startbedingungen hin. (Nicht nachmachen! Trockeneis kann zu Erstickung führen!) Zuletzt gab es noch eine Führung durch das große Rechenzentrum, was noch einmal aufzeigte, wie wichtig die Informatik und IT für die Physik ist. Nach einer abschließenden Feedback-Runde, Mittagessen und Verabschiedung ging es mit U-Bahn und Zug auf einer achtstündigen Fahrt zurück nach Augsburg.
Das Camp ließ nicht nur einen Einblick in die Physik der kleinsten Teilchen zu. Durch den Austausch und Kontakt mit Gleichgesinnten und Gleichaltrigen und Gespräche mit Physikern gab es noch eine weitere zum einen lockere und freundschaftliche zum anderen informative Atmosphäre. Man kann sich fragen, was es bringt, so viel Geld in die Forschung zu stecken oder dabei tätig zu sein. Neben der Neugier, der puren Lust am Erkenntnisgewinn, evtl. erwachsen aus der Frage nach der Entstehung des Universums, haben wissenschaftliche Erkenntnisse immer etwas an unserem Leben positiv verändert. Deswegen wäre es in meinem Sinne, wenn weitergeforscht wird. Auch wenn wir das Ende nie erreichen sollten.