Vor 300 Gästen und dem routinierten Moderator Horst Thieme präsentierten Jamal Fischer, Jonni Krünes, Tim Richstein, Benedikt Schüler, Jonas Holm, Emma Lehn und Tiara Höhnke am Donnerstag, 21.2.2019, im prunkvollen Kleinen Goldenen Saal ihre Slamtexte und überzeugten durch inhaltliches Niveau, Sprachwitz und szenische Präsentation ihrer Texte. Die Augsburger Allgemeine und der Lokalsender Augsburg TV würdigten die Leistungen der Schülerinnen und Schüler mit eigenen Beiträgen.
Sie hatten die historischen Fuggerzeitungen zum Leben erweckt.
Gemeinsame Basis aller Texte waren die sog. Fuggerzeitungen. Diese Nachrichtensammlung entstand durch das Kommunikationssystem, das Jakob Fugger und seine Nachkommen im 16. Jahrhundert in Augsburg begründeten. Für das Unternehmen Fugger war der umfangreiche Zugriff auf Informationen, Nachrichten und Sensationen aus aller Welt, Teil des Erfolgs im Handel, in der Politik, aber auch in der Augsburger Stadtgesellschaft. Dafür wurde ein europäisches Kommunikationsnetz installiert, das von Augsburg aus zu allen wichtigen Handelsplätzen des 16. Jahrhunderts führte. Vor Ort gab es jeweils Schreiber und Korrespondenten im Dienst der Fugger oder aber professionelle Nachrichtenschreiber, deren Dienste genutzt werden konnten. Transportiert wurden die geschriebenen Zeitungen von Postkurieren. Je nach Entfernung waren die Boten 4,3 Tage von Frankfurt aus oder 48,5 Tage von Lissabon aus unterwegs. So entstand mit den geschriebenen Zeitungen eine Vorform der späteren gedruckten Zeitungen.
Wer die Briefe im Original lesen möchte, würde im Fugger-Archiv fündig werden. Um aber die alten Handschriften zu schützen, wurden sie digitalisiert. Über die Forschungsplattform Fuggerzeitungen der Österreichischen Nationalbibliothek kann man einen Teil der historischen Quellen bequem von zuhause aus studieren. Dank der Editionsarbeit heutiger Historiker liegt ein Teil des Quellenbestands in transkribierter Form vor. Die Historikerin Christel Karnehm, die selbst Gast beim History-Slam im Kleinen Goldenen Saal war, hat in jahrelanger Forschungsarbeit die Nachrichtenbriefe von Hans Fugger transkribiert, so dass diese heute in drei dicken Bänden vorliegen, die uns für das Projekt vom Fugger-Archiv in Dillingen als Leihgabe überlassen wurden.
Die sog. Fugger-Zeitungen und Nachrichtenbriefe aus dem 16. Jahrhunderts sind in unterschiedlichen Beständen überliefert worden. Dank der intensiven Betreuung durch Franz Karg, den Archivar des Fuggerarchivs in Dillingen fanden die Schülerinnen und Schüler Zugang zu den drei unterschiedlichen Quellen:
Jakob Fuggers (1449-1525)Zeitungen und Briefe an die Fürsten des Hauses Wettin in der Frühzeit Karls V. 1519-1525, ediert 1941 von Götz Freiherr von Pölnitz -In dieser Quellensammlung fand Jonni Krünes in den Briefen Jakob Fuggers an Herzog Georg von Sachsen im Januar 1525 die passenden Passagen über die Einstellung Jakob Fuggers zum Bauernkrieg und zu Martin Luther.
Die sog. Fugger-Zeitungen aus der Sammlung von Philipp Eduard (1546-1618) und Octavian Secundus (1549-1600), beides Neffen von Jakob Fugger – Diese Sammlung umfasst 32 Bände und ist heute in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien gelagert und auch online im Original einsehbar. Jamal Fischer nutzte die Kurzzusammenfassung dieser Fuggerzeitungen durch Victor Klarwill 1923 als Quelle für seine Suche nach Sensationsnachrichten aus dem 16. Jahrhundert und fand hier einen ausführlichen Bericht über die Hinrichtung von Maria Stuart
Die sog. Kopierbücher der Korrespondenz von Hans Fugger (1531-1598)– transkribiert und ediert von Christl Karnehm – In diesen Nachrichtenbriefen fand Jonas Holm die Berichte über den Augsburger Kalenderstreit, Tim Richstein die Schilderung der Fahrten von Sir Francis Drake, Benedikt stieß im Inhaltsverzeichnis auf die Beobachtung, dass die Pferde offenbar ein heißes Thema waren, und Thiara Höhnke und Emma Lehn verfolgten in diesen Bänden die Suche des Hans Fuggers nach der Wunderblume.
In den Fuggerzeitungen fanden sich die Motive, zu denen spannende Themen entwickelt werden mussten, Themen, die sich auf die Gegenwart und die Zukunft übertragen ließen. Jeder musste zu seinem Thema eine spannende Fragestellung, einen eigenen Zugang finden und mehrere Zeitsprünge erproben. In mehreren Workshops mit der Poesiepädagogin und Slammerin Meike Harms trainierten unsere Slammer das Slammen, das Spiel mit den Reimen, das Spiel mit unterschiedlichen Formaten. Das Reimlexikon von Willy Steputat diente dabei als ein Handwerkszeug.
Am Ende entdeckte jede Slammerin, jeder Slammer in seinem Thema eine spannende Geschichte, kreierte eine Slam-Trilogie, eine Textvielfalt mit unterhaltsamen, provokanten und nachdenklich stimmenden Texten:
„Smart und erfolgreich: die Fuggerzeitungen“ – Im Fokus der Gedankenspiele stand der Wahrheitsgehalt damaliger Nachrichten im Vergleich zu der Präsenz der Fake-News heute und die Dauer des Nachrichtentransfers– Der „FuggerFamily-Verlag, der brachte die Meldungen ab dann fortan an die Bürger Augsburgs heran – dauerte nur zwei Wochen lang. Der Zeitraum klingt groß, doch sag bloß, per Floß in Städte wie Rom und Venedig, Prag und Konstantinopel, schon sind die zwei Wochen eine akzeptable Zeit.“ Für die Zukunft sieht Jamal eine Welt ohne Kommunikation, denn „Gedankengänge werden einfach nur in Form von Impulsen an einen Chip weitergeleitet“
„Martin Luther, der Unruhestifter“ – Jonni Krünes inszenierte einen fiktiven Boxkampf zwischen dem Unruhestifter Martin Luther und Jakob Fugger, d.h. zwischen dem „protestierenden Prototyp Protestanten, dessen Fanbase sich rund um den Globus (oder wie man es früher gesagt hätte: Einmal um die Scheibe und über den Tellerrand hinaus) erstreckte“ und einem „dessen Geldfluss seinen Einfluss bis weit über die Grenzen seiner Heimat, durch die der Lech fluss oder floss, der amtierende Champion in Geldbörsen-Schwergewichtsklasse.“ Den Stoff für diesen Zweikampf fand er in den Briefen Jakob Fuggers, der in Lütter „Anfang und Verursacher der Aufruf und Empörung“ der Bauernkriege sah. Im Anschluss sinnierte er in seinen Texten über heutige Kommunikationsplattformen, in denen der „Finger zum zentralen Mittler und Unruhestifter der Kommunikation“ wird.
„Besieger der Unbesiegbaren: Sir Francis Drake“– Tim begleitete Sir Francis Drake über die Weltmeere und konzentrierte sich auf „Transportwege und Störungen der Kommunikation“. Die Fahrten von Sir Francis Drake wurden auch von den Korrespondenten der Fugger genau beobachtet wurden, kreuzten doch die Route des von den Spaniern gefürchteten Francis Drake auch die Routen der Fuggerschen Handelsschiffe. Im 2. Text wird eine Whats-App-Gruppe „Seehandel Schiffemoji Schiffemoji“ inszeniert, mit Octa & Phil Fugger, Felipe 2, The Virgin_Queen und CaptainDragon1540. Trotz der Meldung „englische Flagge + spanische Flagge=Herz“ kommt es zum Desaster und nach dem Totenkopf-Emoji von Felipe_2 kommt die Meldung „CaptainDragon1540“ hat die Gruppe verlassen. Für die Zukunft wird über den Transport per „TPU01“ philosophiert, meint „Teleportation mit unendlichen Zielen, Null Zeitaufwand und der Garantie in einem Stück hoffentlich am Ziel anzukommen.“
„Hüh hott – Pferde als Jahrhundertthema“ – Benedikt stellte im Register der Briefedition Hans Fuggers fest, dass die Pferde ein zentrales Thema waren, 450 Briefe zu diesem Thema findet man in den drei Folianten mit Briefen Hans Fuggers. Dabei ging es um die Kehlsucht eines kranken Pferdes wie um die 600 Dukaten, die man für den Erwerb eines Osmanenpferds brauchte. Pferde genauer die Pferdestärken eines Mustangs prägen zweiten Dialog, während man sich in der Zukunft wohl von den „Qualmquadrigen des 21. Jahrhunderts“ verabschiedet und sich als „Überbringer der Kommunikation“als „Pakettransportpilot“ auf unendlich langweilige Reisen durch die Planetenküsten des Weltraums begibt.
„Schwere Unruhen: Der Augsburger Kalenderstreit“
Der Kalenderstreit beunruhigte die Augsburger Bürger des 16. Jh und war als ein Ärgernis in der Kommunikation auch ein Thema der Fuggerzeitungen:
„Hans Fugger schreibt in einem Brief
über den Aufstand ganz negativ
Für ihn war das Ganze ein „übel Mandat“
So berichtet Jonas Holm. Thematische Parallelen zur aktuellen Diskussion in der EU über die Festlegung von Sommer- oder Winterzeit sind schnell gefunden.
„Die Wunderblume Hans Fuggers“
Die Suche der Menschen nach einem exotischen Heilmittelwar auch ein Thema für Hans Fugger im 16. Jahrhundert, wie Tiara Höhnke und Emma Lehn in Hans Fuggers Briefen lesen konnten. Er suchte nach heilenden Steinen, nach sog. Bezoaren, welche früher als Heilmittel gegen allerlei Krankheiten eingesetzt wurden, und musste darauf ca. 2 Jahre warten, da sie von den portugiesischen Inseln Südostasiens kamen. In der Zukunft – so sehen es Tiara und Emma – könnte diese Wartezeit auf exotische Medikamente durch den 3D-Drucker in der Zukunft extrem beschleunigt sein, d.h. auf Sekunden beschränkt werden.
Mit Tempo, Witz und Charme sicherten sich die Akteure des Abends ihren Applaus, im Sinne des Wettkampfs holte einer, Jonni Krünes, den Pokal. Für alle Slammerinnen und Slammer gab es eine Eintrittskarte für den nächsten Poetry Slam im Gaskessel mit Horst Thieme. Herzlichen Glückwunsch allen Slammern. Wer die Texte nochmals genießen möchte, kann die Aufzeichnung der Veranstaltung im Livestream verfolgen.
Dank an Horst Thieme für die wie gewohnt souveräne Moderation, Dank an die wunderbare Betreuung durch das Team der Fuggerschen Stiftungen, Frau Gabler und Frau Strauch, einen ganz herzlichen Dank an Franz Karg, den Archivar des Fugger-Archivs und dank auch an Meike Harms, die Poesiepädagogin für die Unterstützung bei der Vorbereitung. Herzlichen Dank den begleitenden Lehrkräfte Manuel Höfer, Mathias Mayer, Christian Stahl und Angelika Felber.
Fotografin Nikki Maier