Am Donnerstag, dem 23.4.2015, fand zum Thema „Weberaufstände im 19. Jahrhundert – Textilrevolten heute?“ ein FuggerForum verschiedener Schüler der 11. und 10. Jahrgangsstufe in enger Kooperation mit dem Vorstandsvorsitzenden der Dierig Holding AG, Herrn Christian Dierig statt, der seit vielen Jahren das Jakob-Fugger-Gymnasium mit Sachspenden und bei verschiedenen Veranstaltungen tatkräftig unterstützt. Der Fokus des Abends lag auf der Vereinbarkeit von kapitalistischem Gewinndenken und Moral. Dabei wurden immer wieder Parallelen zur Vergangenheit der Textilindustrie Deutschlands durch Schülerbeiträge und daraus folgende Fragen gezogen und durch Herrn Dierig mit aktuellen Beispielen beantwortet und ergänzt.
Eingeleitet durch die Anmoderation von Frau Angelika Felber und den Q11-Schülerinnen Naissy Ba und Tabea Jacob startete der Abend nach einer musikalischen Darbietung der JFG-Concertband mit einem Vortrag des Heine-Gedichts „Die schlesischen Weber“ durch Leon Manavi, 10a. Jonas Haidinger und Benjamin Mudrich, beide Q11, gaben dem Gedicht, das den schlesischen Weberaufstand von 1844 zusammenfasst, ein atmosphärisches Bild durch verschiedene Schlaginstrumente. Es folgte eine Gedichtinterpretation von Robert Wittke, Q11, der auf die untragbaren Lebensumstände der Weber in Langenbilau und Peterswaldau einging, die letztendlich zu dem von Heine beschriebenen Aufstand führten. Hauptkritikpunkte der damaligen Weber waren vor allem niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten und gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen. Daran schlossen sich die Fragen an Herrn Dierig über die mögliche Schuld der Unternehmer und eventuelle Parallelen zur heutigen Situation an.
Benedikt Kosak und Philipp Maier, beide Q11, klärten die sozialen Frage: Welche Gründe führten zu vorig genannten Problemen, welche Ausmaße nahmen die Umstände an und wie gelang es den Arbeitern, mehr Rechte einzufordern? Die aufkommende medizinische Technik führte zur Überbevölkerung, die industrielle Massenproduktion machte einzelnen Handwerkern Konkurrenz, die Landflucht dieser Zeit verschärfte die Lage in den Städten durch ein immenses Arbeitnehmerüberangebot. Durch das damit entstandene Machtgefälle zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern waren Kinderarbeit und 78-Stunden-Wochen die Regel. Verschiedene Lösungsansätze zeigten die Bismarcksche Sozialgesetzgebung, verschiedene kirchliche Institutionen wie etwa das Kolpingwerk und die Gewerkschaften auf. Auch dieser Vortrag endete mit einer direkten Frage an Herrn Dierig: Wie sahen die Umstände in der Fabrik Dierig aus und kann man die ausbeuterische Vorgehensweise der damaligen Unternehmer mit dem harten Konkurrenzkampf untereinander entschuldigen?
Herr Dierig erklärte zuerst den geschichtlichen Hintergrund der Firma und des angesprochenen Weberaufstands von 1844 und ging dabei auch auf die Schlüsselrolle der Bildung für eine funktionierende Demokratie ein. Daraufhin kam er auf die aktuellen Geschehnisse zurück, indem er die ausdrücklich von ihm als provokant titulierte These äußerte, es gebe auch heute noch vergleichbare Ausbeutung. Allerdings exportierten die Deutschen ihre Probleme schlicht in andere Länder, die in jüngerer Zeit durch Nachrichtenschlagzeilen von einstürzenden Textilfabriken auffielen. Als Beispiel führte er einen Artikel im Stern heran, der über Kinder berichtet, die auf einer Mülldeponie arbeiten. Die Schuldfrage beantwortete er mit der Beteiligung verschiedener Akteure. So hätten die (teils korrupten) Staaten mit ihrer nicht wahrgenommenen Bildungspflicht eine gewisse Schuld, die Familien, die ihre Kinder aufgrund der Altersversorgung arbeiten und nicht bilden ließen, die Unternehmer aufgrund der niedrigen Löhne und letztendlich auch die Konsumenten, da sie im Wissen um diese Umstände das Produkt mit dem Kauf dennoch unterstützten. Gerade zum letzten Aspekt gab er verschiedene Beispiele wie etwa Nestles Nespresso, bei dem sich der Konsument über die kaum recyclebare Aluminiumverpackung im Klaren sein müsse, oder H&M mit Kleidungsstücken, deren Preis schon auf die geringen Arbeiterlöhne schließen lasse. Herr Dierig forderte zudem den Zuhörer auf, sich in einen führenden Politiker eines Entwicklungslandes hineinzuversetzen und stellte im Anschluss die Frage, ob der jetzige Zustand nicht eine nötige Zwischenstufe zur weiteren Entwicklung bis hin zu westlichem Niveau sei.
Der zweite Teil der Schülervorträge (Andreas Zerr und Marc Haltmayer, 10c, Christina Düll und Dennis Pohland, 10a) beschäftigte sich vor allem mit dem 20. Jahrhundert und der Frage, ob die Globalisierung den Konkurrenzkampf und damit die Gesamtsituation im Vergleich zum 19. Jahrhundert verschärft hat. Dafür wurde unter anderem der Produktionsweg einer Jeans nachgezeichnet, insgesamt 60.000 Kilometer größtenteils per Schiff. Dazu kämen verschiedene chemikalische Belastungen für Mensch und Umwelt wie Toxizität und erhöhte Krebswahrscheinlichkeit. Zudem verbrauche eine Jeans 8.000 Liter Wasser bei ihrer Herstellung, was wiederum zu Austrocknung und Abwasservergiftungen führen könne. Konkret stellten die Schüler dem Unternehmer die Frage nach den zukünftigen Lösungsmöglichkeiten dieser Probleme und ob es seiner Meinung nach möglich sei, dass sich die Textilindustrie wieder in Deutschland ansiedele.
Herr Dierig verwies auf eine Gesetzeslücke, die die Herstellung mit solchen Chemikalien in Deutschland zwar verbiete, nicht aber den Import derartig hergestellter Stoffe. Zudem übe die Modebranche einen ganz entscheidenden Einfluss auf die Textilindustrie aus. Kritik übte er besonders an deutschen Kunden, die teurere, qualitativ hochwertigere Produkte kaum schätzen und sich schlicht vom geringen Preis leiten lassen würden. Eine Rückkehr der Textilindustrie nach Deutschland schloss Herr Dierig damit aus und beendete seinen Vortag mit dem Beispiel eines WM-Trikots. Der Gewinn dieses Trikots beinhalte 15 Cent für die Näherinnen bei Herstellungskosten von 18 Euro und einem offiziellen Verkaufspreis von 85 Euro. Damit unterstrich er, dass die Konsumenten ein größeres Bewusstsein für ihr Konsumverhalten haben müssten. Anschließend fand im Rahmen der Veranstaltung noch eine offene Fragerunde mit Herrn Dierig statt. Er war der Meinung, dass das Outsourcing irgendwann aufgrund der Weigerung der jetzigen Entwicklungsländer unmöglich werden würde. Auch die Möglichkeiten eines Eingreifens des deutschen Staates hielt er wegen des Exportstatus Deutschlands für begrenzt. Die Veranstaltung klang mit einem eigens dafür kreierten Gedicht (Manavi) aus, angelehnt an Heines schlesische Weber, inklusive musikalischer Begleitung (Haidinger, Mudrich). Beim abschließenden Gruppenfoto mit Schülern und den an der Vorbereitung und Gestaltung des Abends beteiligten Lehrkräften (Frau Pfau, Frau Felber, Herr Horn, Herr Walcher und Herr Höfer) war man sich einig, dass das „Fugger-Forum“ eine interessante und informative Veranstaltung war, die neue Perspektiven eröffnet hat.